Zum Teil sind ganze Bereiche an digitalem Wissen nicht vorhanden

Folgender Beitrag stammt (leicht gekürzt und überarbeitet) aus einem Interview zwischen der Conrad Electronic SE und Philipp Blindow. Conrad hat im Rahmen seiner Roadshow zur Digitalisierung an Schulen Philipp Blindow interviewt. Das Interview wurde in einem Whitepaper (2022) veröffentlicht.

Das Blindow-Schulkonzept

Gute Organisation, familiäres Miteinander, hochwertige Ausstattung und ein kompetentes Dozententeam sorgen an den Sabine Blindow-Schulen, die seit 1989 in Hannover beheimatet sind, für ein positives Lernklima. An den vor 75 Jahren gegründeten Berufsfachschulen in freier Trägerschaft können in Vollzeit Ausbildungen in den Bereichen MINT und Management absolviert werden. Zum Teil ergänzen die Ausbildungsgänge das staatliche Schulangebot, zum Teil handelt es sich um ein ersatzschulisches Angebot. Insbesondere in den Ausbildungen für technische Assistent:innen spielen digitale Kompetenzen eine elementare Rolle. Aber auch in anderen Fächern gehören digitale Tools zum Schulalltag, angefangen beim Arbeiten in der Cloud bis hin zum Einsatz interaktiver Whiteboards. Antworten aus der Berufsschul-Praxis: Lücken schließen und alle ins Boot holen.

Bildung transformieren für eine nachhaltige Digitalisierung – Was sind Ihre spontanen Gedanken und Ideen dazu?

Ich halte es für extrem wichtig, dass man Digitalisierung so früh wie möglich in Bildungskontexten einbindet. Und mit Blick auf unsere Schüler:innen geht es dabei nicht nur darum, Collegeblock, Buch und grüne Tafel durch Tablets zu ersetzen. Berufstätige von morgen müssen auch mit Standardbürosoftware perfekt umgehen können. Denn gerade im naturwissenschaftlichen Bereich ist es unerlässlich, mit Kalkulationsprogrammen und Messdaten richtig umgehen zu können.

Hier sehen Sie klare Defizite?

Ja, die Lücken sind enorm. Zum Teil sind sogar ganze Bereiche an digitalem Wissen überhaupt nicht vorhanden. Das ist der Grund, warum wir das Fach IT-Tools/Office-Tools eingerichtet haben, das ich auch selbst unterrichte. Selbst wenn junge Menschen das Abi in der Tasche haben, können sie häufig mit Office-Programmen nur rudimentär umgehen, haben zum Beispiel mit Excel noch gar nicht gearbeitet und kennen auch den Unterschied zwischen einem HDMI- und USB-Anschluss nicht. Und das liegt einfach daran, dass viele sich zwar mit Smartphones super auskennen, aber keinen Laptop haben.

Wir wirken Sie dem entgegen?

Da wir junge Menschen im Bereich IT ausbilden, haben wir bereits 1996 die ersten Computer für den Unterricht angeschafft und unsere Computerräume im Laufe der Zeit immer der neuesten Technik angepasst. Seit 2014 arbeiten wir in unseren Management-Ausbildungsgängen außerdem mit einem Learning Management System von Google und haben diesen digitalen Lernkosmos im Zuge von Corona auf die komplette Schule ausgeweitet.

Bei Ihnen war die Integration digitaler Tools also ein fließender Übergang?

Entscheidend ist, dass die Lehrkräfte mitziehen, was bei einem fließenden Übergang sicherlich leichter zu realisieren ist. Der Schulungsaufwand beim Einsatz neuer digitaler Tools ist enorm. Wir haben uns deshalb im Lauf der Zeit dazu entschieden, eigene pädagogische Fortbildungen zum Thema digitales Lernen anzubieten, die alle Lehrkräfte durchlaufen. Dort lernen Sie nicht nur das Equipment und seine Funktionen kennen, sondern bekommen auch Impulse für die Einbindung digitaler Lerntools in den Unterricht.

Wie wird das Weiterbildungsangebot angenommen?

Entscheidend ist, dass jede Lehrkraft vorab die Gelegenheit bekommt, das neue Tool zu nutzen und damit zu üben. Wir haben Kolleg:innen, die seit 30 Jahren bei uns sind und es gewohnt sind, mit OHP und Tafel zu arbeiten. Da kann ich nicht einfach von heute auf morgen eine digitale Tafel hinstellen. Sie müssen Schritt für Schritt lernen, wie man Materialien digitalisiert, wo ich mir Input für eine Präsentation holen oder wie ich ein Youtube-Video zeigen kann. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung definitiv beschleunigt. Sie hat aber auch gezeigt, dass man für eine erfolgreiche digitale Transformation durchaus zwei Jahre und mehr einplanen sollte.

An Ihrer Schule arbeiten Sie auch mit Online-Lotsen, richtig?

Genau, in jeder Klasse gibt es zwei Online-Lots:innen, die von unserer IT-Abteilung im Umgang mit neuem Equipment zusätzlich geschult werden. Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Technik pünktlich zu Unterrichtsbeginn am Start ist, insbesondere dann, wenn Schüler:innen von zuhause teilnehmen und unterstützen die Lehrkraft, wenn die Technik mal nicht so funktioniert wie sie soll.

Seit zwei Wochen haben Sie an Ihrer Schule digitale Tafeln im Einsatz. Wie sind hier Ihre

ersten Erfahrungen?

Zunächst haben wir einen Testballon mit vier interaktiven Whiteboards gestartet und ein Team aus Kolleg:innen zusammengestellt, um ein Konzept zu erarbeiten. Denn jedes neue Tool steht und fällt mit den Menschen, die Lust darauf haben, es zu nutzen, und als Multiplikator:innen im Kollegenkreis dienen können. Ich habe ein Erklärvideo aufgenommen, wo ich das Thema digitale Tafel komplett erläutere und erkläre wie die Technik funktioniert. Außerdem gibt es Schulungen, um alle Funktionen kennenzulernen. In zwei Wochen haben wir so jede Lehrkraft in Kleingruppen mit maximal vier Personen weitergebildet. Denn Fakt ist: Wenn das neue Tool am Ende einfach nur wie vorher die grüne Tafel genutzt wird, ist nichts gewonnen. Ein interaktives Whiteboard kann mit der richtigen Software einfach so viel mehr.

Sie haben vorhin von Multiplikation im Kollegenkreis gesprochen. Wie genau ermöglichen Sie das?

Um alle mit ins Boot zu holen, haben wir einen Arbeitskreis Online-Unterricht eingerichtet, der auf kollegiale Beratung zu digitalen Unterrichtselementen setzt. Unter anderem haben wir eine Online-Lernplattform zusammengestellt, auf der man sich Tipps und Schritt-für-Schritt-Anleitungen holen kann.

Sie arbeiten außerdem mit Google Classroom. Inwiefern erleichtert das den Lehrkräften und Klassen den Schulalltag?

Spontan denke ich da an feste Meet-Links in Zeiten des Hybrid-Unterrichts sowie die Möglichkeit, Dateien zu teilen, sich über Kommentare im Dokument oder auch ganz unkompliziert im Chat auszutauschen. Gerade in Zeiten von Corona war auch die Klausurfunktion sehr praktisch, bei der die Abgaben online hochgeladen, online korrigiert und online zurückgegeben werden können. Außerdem hat Google mittlerweile ein Plagiate-Tool im Einsatz, das automatisch anzeigt, wenn Inhalte einfach nur von irgendwelchen Websites runterkopiert werden. Das erleichtert die Arbeit extrem.

Das hört sich nach einer ziemlich umfassenden Lernplattform an.

Ja. Bei Google Classroom stehen die klassischen Office-Tools ebenso zur Verfügung wie Breakout-Rooms für Gruppenarbeiten oder eine Kalenderfunktion für gemeinsame Termine. Das ist wirklich ein riesiges Portfolio für sehr kleines Geld. Nachteil ist natürlich das ewige Thema Datenschutz. Wir haben uns deshalb für eine Kaufversion entschieden, bei der die Daten in Europa gehostet werden. Trotzdem gehen wir auf Nummer sicher und arbeiten im kompletten Google Kosmos nicht mit Klarnamen. Außerdem haben wir einen Datenschutzbeauftragten, der Kollegium und Schülerschaft regelmäßig schult.

Sie haben außerdem das große Glück, eine eigene IT-Abteilung im Haus zu haben? Halten

Sie die digitale Transformation ohne ein solches Expertenteam für machbar?

Die Google Umgebung ist in der Tat recht einfach zu pflegen. Vor allem, wenn man nette Partner hat, die bei Fragen auch jederzeit per E-Mail erreichbar sind. Aber das Hosting der kompletten digitalen Ausrüstung ist ein Riesenthema. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass wir ohne unsere eigene IT-Abteilung längst nicht so weit wären. Meines Erachtens braucht es je nach Schulgröße hier mindestens zwei bis drei Menschen. Das können auch Lehrkräfte sein, die deutlich weniger Stunden haben und den Rest ihrer Arbeitszeit komplett auf die Pflege von IT-Infrastruktur und Equipment verwenden können und sich darum kümmern, dass Firewalls immer up to date sind und das WLAN funktioniert. Meiner Beobachtung zufolge realisieren das immer mehr Schulträger und bieten zentrale IT-Abteilungen an bzw. verstehen, dass es mindestens ein bis zwei volle Stellen hierfür braucht. Und das ist die Untergrenze.

Und wie geht es an Ihrer Schule in Sachen Digitalisierung weiter?

Spontan würde ich hier an die Möglichkeit „Bring Your Own Device“ denken. Konkrete Pläne haben wir dafür aber noch nicht. Aktuell haben wir ja den DigitalPakt Niedersachsen genutzt, um unsere Schule mit interaktiven Tafeln auszustatten. Insofern geht es jetzt zunächst mal darum, dieses neue digitale Medium und damit verbundene neue Methoden aktiv und erfolgreich in den Präsenz- und Hybridunterricht zu integrieren und alle Beteiligten ins Boot zu holen.

Lernen Sie den sicheren Umgang mit digitalen Unterrichtsmedien in unserem Seminar „Unterricht digital gestalten„.